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Obamas Utopien (2)

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Utopie des Designs

Alle Zeichen deuten auf einen neuen ‘New Deal’ in den USA: Ein umfassendes Paket an Wirtschafts- und Sozialreformen gepaart mit massiven Investitionen, das die Konjunktur des eigenen Landes ankurbeln soll. Umrahmt werden diese Maßnahmen von einer unüberhörbar utopischen Rhetorik des neuen Präsidenten Barack Obama.
Wo auf einen Schlag soviel Geld frei wird, stellt sich natürlich die Frage nach Plänen zur Umsetzung dieser utopischen Entwürfe. Architekt/innen und Designer/innen werden aufgerufen sein, um dieses neue Amerika zu gestalten.

Tom Holert

Tom Holert (Foto: Lisa Rastl)

Der Kunsthistoriker und Publizist Tom Holert nimmt parallel dazu gerade eine ‘Expansion des Designbegriffs’ wahr. In der aktuellen Ausgabe von Texte zur Kunst beschäftigt er sich mit utopischen Herangehensweisen in der Design-Theorie. Im Interview mit FM4 erklärt er die utopischen Momente in Obamas Reden, warum Design soziale Verhältnisse mitgestalten kann und wie das Amerika der Zukunft aussehen könnte.

Michael Schmid: In Medienberichten rund um Obamas Wahlkampf wurde teilweise sehr inflationär mit dem Begriff ‘Utopie’ und ‘Vision’ hantiert. Woran könnte man das utopische Moment in Obamas Rhetorik und in seiner Politik festmachen?

Tom Holert: Obamas Rhetorik profitiert sicher von dem Desaster der Bush-Regierung. Und seit September 2009 profiliert sie sich zudem wirkungsvoll an der unabweisbar gewordenen Krise des Finanzsystems. Aber sein “Yes, we can”, das eine allgemeine Verdrossenheit der Amerikaner angesichts des drohenden Verlusts an nationalem Selbstwertgefühl voraussetzt, gegen die sich dieses Motto durchsetzen soll, wäre leer, hätte Obama nicht ein ganzes Set an utopischen Momenten zu bieten, die sich mit seiner Person, seinen Auffassungen und seinem Politikstil verbinden.

“Afrikanisch-amerikanischer Präsidentschaftskandidat” – darin steckt ja bereits eine entscheidende Utopie, nämlich die der Überwindung rassistischer Asymmetrien. Obama repräsentiert zudem die Eigenschaften “jung”, “intelligent”, “gut aussehend”, und er verströmt jenes Etwas, das die Kommentatoren immer wieder von seinem “cool” schwärmen lässt. Seine Weigerung, in einseitig parteipolitische und populistische Fahrwasser einzuschwenken, lässt mit ihm die Hoffnung verbinden, dass hier jemand angstfrei das Gewohnte vermeiden wird. Dass Obama dabei lange vor Aussagen über konkrete außen-, wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen zurück scheute, steht dazu kaum im Widerspruch. Geschickt hat es Obama verstanden, Signale der Utopiefähigkeit auszusenden und zugleich den Eindruck zu vermeiden, ein bloßer Wunschdenker zu sein.

Ist deiner Meinung nach wieder eine generelle Tendenz hin zum ‘Utopischen’ feststellbar?

Tom Holert: Die diskursive Verwaltung der aktuellen “Krise” neigt ja eher zu apokalyptischen Tönen. Obamas Wahlsieg ist wahrscheinlich das einzige Hoffnungszeichen im globalen Maßstab. Nein, ich sehe momentan eigentlich keine besondere Konjunktur des Utopischen.

In der aktuellen Ausgabe von ‘Texte zur Kunst’ stellst du eine ‘Expansion des Designbegriffs’ fest. Dem Konzept des Designs ‘scheint wieder ein Versprechen innezuwohnen’, schreibst du da. Du sprichst auch ganz konkret von ‘Design-Utopien’. Wo wird die ‘Expansion’ des Begriffes spürbar und worin liegt das Potential dieses Aufbruchs in eine neue Zukunft der Gestaltung?

Tom Holert: Schon der Begriff “Design”, übersetzbar als “Entwurf”, ist ja im Kern zukunftsgerichtet und beschreibt einen Zustand vor der Realisierung. Insofern siedelt Design immer in der Nähe der Utopie. Aus meiner Sicht stellt “Design” eine konzeptuelle Alternative zum Schlagwort der “Ästhetik” dar. Hat man lange die postmoderne Ästhetisierung der Lebenswelt beklagt oder begrüßt und damit häufig auch das Design dieser von Konsum geprägten Lebenswelten gemeint, lässt sich mit einem Begriff von Design, der über klassische Anwendungsfelder wie Grafik- oder Produktdesign hinausgeht, aber trotzdem den Anwendungscharakter von Design nicht verleugnet, eine andere Perspektive entwickeln. Diese Perspektive wäre die eines verändernden Einwirkens auf die Welt – als Gestaltung nicht nur von Produkten, sondern von sozialen Verhältnissen.

Gibt es für dich praktische Beispiele, wo sich aktuelle Design-Utopien mit den Utopien eines Barack Obama treffen könnten?

Tom Holert: Wahrscheinlich wird die Frage der Zugänglichkeit und des Zugangs – zu Ressourcen aller Art – im Zentrum einer von Obama ausgehenden keynesianischen Staatsausgaben-Politik stehen; entsprechende Design-Paradigmen, die auf Partizipation, Selbstermächtigung, Demokratisierung usf. setzen und damit auch die Konsequenzen aus den fortwährenden Umverteilungen von Wissen, Kompetenz, Expertise ziehen, würden einer solche Politik der Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum entsprechen. Viel Inspiration dürfte zum Beispiel aus Community-Projekten und Notfall-Architekturen kommen, das heißt eher aus Praktiken der Hilfe zur Selbsthilfe eher denn aus konventionellen Masterplan-Programmen.

Das heißt, es besteht die reale Chance, dass wir einen dramatischen Umbau Amerikas miterleben könnten?

Tom Holert: Das kommt sehr darauf an, wen die Gelder aus den Konjunkturprogrammen letztlich erreichen. Auch hier wäre eine wesentliche Voraussetzung, die üblichen Kanäle zu meiden und in nationalen und womöglich globalen Ausschreibungen die tatsächlich erfolgversprechendsten Entwürfe (im Sinne des erwähnten erweiterten Designbegriffs) auszuwählen. Wie real die Chance ist? Schwer zu sagen.

Tom Holert ist Kunsthistoriker und Publizist. Er lehrt und forscht an der Akademie der bildenden Künste Wien (Schwerpunkt: Kunst als Wissensproduktion). Von 1992-1996 war er Redakteur von Texte zur Kunst, von 1996 bis 1999 Redakteur und Mitherausgeber von Spex (Köln).

Buchveröffentlichungen: u.a. ‘Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft’ (Hg., mit Mark Terkessidis, 1996); ‘Imagineering. Visuelle Kultur und Politik der Sichtbarkeit’ (Hg., 2000); ‘Regieren im Bildraum’ (2008). Sein Artikel ‘Design und Nervosität’ ist in der aktuellen Ausgabe von Texte zur Kunst erschienen.

Dieser Artikel ist am 31. Januar 2009 auf fm4.orf.at erschienen.


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